So weit der Wind uns trägt by Ana Veloso

So weit der Wind uns trägt by Ana Veloso

Autor:Ana Veloso [Veloso, Ana]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-426-41218-3
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2012-07-04T00:00:00+00:00


Laura flüchtete sich in ihr altes Zimmer. Was ihre Eltern und ihr Bruder nicht geschafft hatten, nämlich ihr die Teilnahme an der Feier auszureden, war Senhor Domingues mit einigen wohlplatzierten Fragen gelungen. Ihr war die Lust gründlich vergangen. Ihre Laune war auf den Nullpunkt gesunken – nicht wegen der Impertinenz des Nachbarn, sondern aus Wut über sich selber. Sie hatte sich mehr zugetraut. Doch während sie dem Kummer ihrer Eltern und den Frechheiten ihres Bruders stolz entgegengetreten war, war sie bei den harmlosen Fragen des verschwitzten, dicken, einst gutmütigen Senhor Domingues eingeknickt.

Aber waren seine Fragen wirklich ohne böse Hintergedanken gewesen? Hatte sie nicht eine Spur von Gehässigkeit herausgehört? Ja, wenn sie sich sein Gesicht jetzt wieder vor Augen hielt, dann hatte darin weniger nachbarschaftliches Interesse gestanden als vielmehr Hohn und Zorn. Sie hatte sich nur blenden lassen von Senhor Domingues’ harmlosem Äußeren, seinem buschigen Schnauzbart, seiner roten Knubbelnase, die deutlich von seinem überhöhten Portwein-Konsum zeugte, sowie von seiner runden Gestalt. Aber seine Augen sprachen eine gänzlich andere Sprache.

Laura nahm ihren Skizzenblock und versuchte aus dem Gedächtnis, diese Diskrepanz einzufangen. Ein interessantes Studienobjekt, der liebe Senhor Domingues. Wenn sie doch nur den Mumm besessen hätte, sich unter die Gäste zu mischen! Dann hätte sie ihn sich noch einmal genauer betrachtet, hätte typische Merkmale klarer herausarbeiten können und hätte den Mann, besser, als wenn er ihr Modell gesessen hätte, in einer unverfälschten Weise porträtieren können – so wie sie einst am Rossio-Bahnhof die sich unbeobachtet glaubenden Reisenden gezeichnet hatte.

Sofort verdrängte sie jeden Gedanken an diese Zeit. Es erfüllte sie nur mit Wehmut, mit einer unbeschreiblichen saudade, wenn sie an ihre erste Begegnung mit Jakob zurückdachte. Sie durfte jetzt auf gar keinen Fall in Selbstmitleid versinken. Nach vorne schauen, immer nach vorne. Dem Kind zuliebe.



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